Autoren: Nancy Herrick & Roger Morrison Verlag: Kai Kröger, Verlag für homöopathische Literatur www.kai-kroeger-verlag.de
Eine Rezension von Anne Schadde
Der Begriff „Einsichten“ erinnert mich sofort an Hahnemann Worte „sieht der Arzt deutlich ein…“ (§ 3 Organon), damit geht es hier um ein Basiswerk des „Erkennens“.
Die Empfindungsmethode in der Homöopathie, mit der wir in den vergangenen Jahrzehnten begannen, hat meinen Praxisalltag bereichert. Viele Erkenntnisse, viele neue Mittel, viele tiefe Erfahrungen in den Gesprächen mit den Patienten haben meinen Praxisalltag und damit mein Leben spannend und lehrreich verändert.
Gleichzeitig ist es aber auch eine enorme Herausforderung, immer wieder an Grenzen zu stossen. Fragen tauchen auf: wie übersetzen wir das am Patienten Erkannte (Krankheitserkenntnis § 3 Organon) in ein passendes Heilmittel. Oft geschieht es, dass der Patient sein „Erleben“, nämlich das was ihn individualisiert und häufig der Hintergrund der körperlichen Beschwerden ist, beschreiben kann. Allerdings kommt dann der Augenblick des Umsetzens dieser Empfindung in eine passende Arznei, tagtäglich eine schwierige, aber interessante Aufgabe.
Über die Empfindung ist nun in den letzten Jahren viel geschrieben worden, viele Fälle gesammelt, viel Information gespeichert worden. Zu wenig Information gab es allerdings bisher darüber, wie wir die von Sankaran erweiterten Miasmen in diesen Prozess des „Erlebens“ des Patienten integrieren können.
Daher ist es mir eine Freude, das neue Buch von Nancy Herrick & Roger Morrison vorzustellen. Schon im Titel ist erwähnt, dass es sich um die „erweiterten“ Erkenntnisse in der Homöopathie an der Stufe zum neuen Millennium handelt. Das Buch aus der amerikanischen Originalausgabe mit dem Titel Miasms of the New Millennium. New Insights into the Ten Miasms liegt nun in einer hervorragenden deutschen Übersetzung von Kai Kröger vor: Miasmen des neuen Millenniums; Neue Einsichten in die zehn Miasmen.
Die beiden Autoren gehen in ihrem Buch zuerst auf die Theorie der Miasmen ein. Dieser theoretische Teil klärt auf, dass die neue Entwicklung in der Homöopathie exakt auf den Kenntnissen der alten Meister ruht. Denn, wie Hahnemann in „Die chronischen Krankheiten“ angibt, ist das Miasma einer in Unordnung geratenen Lebenskraft gleichzusetzen. Nach seinem Verständnis war das Miasma ein dynamisches Wesen, also nicht statisch und festgelegt.
Hahnemann war der Auffassung eines ursprünglich tief sitzenden Übels, welche allen chronischen Erkrankungen zugrunde liegt und nannte diese chronischen Miasmen Psora, Sykose und Syphilis. Wobei er die Psora sowohl als eine ansteckende, als auch eine vererbbare Grunderkrankung hielt, die sich damit der gesamten Lebenskraft mitteilt. Ihr gab Hahnemann eine besondere Bedeutung und beschrieb sie in langen Symptomenlisten und langen Arzneilisten. Ist uns doch bewusst, dass die Theorie der Miasmen einen wesentlichen Pfeiler unserer homöopathischen Verschreibung darstellt, erlebten es schon die alten Meister oft als eine nicht so einfach umzusetzende theoretische Anweisung Hahnemanns.
Zu jeder Zeit schon stritten die Homöopathen theoretisch über die Facetten der Miasmen, wie zum Beispiel über die Erweiterung der drei Miasmen Hahnemanns durch das Miasma der Tuberkulose. So hatte bis in die neueste Zeit kaum jemand den Mut, einzuräumen, dass es noch weitere Miasmen geben könnte. Waren doch die Gesetze in „Stein gemeisselt“ und damit unantastbar. Diesem Mut, sich am Leitsatz „Aude sapere“ (Wage es, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen) zu orientieren ging Sankaran in diesem neuen Jahrtausend nach und erweiterte das Miasmen-Spektrum.
Wenige Homöopathen vor unserer Zeit brachten neue Miasmen-Vorschläge in die Theorie der Homöopathie ein: z.B. Foubister erwähnte das Krebs-Miasma, Vakil das Lepra-Miasma, Vithoulkas das Tuberkulose-Miasma. Daher war es wohl nur eine Frage der Zeit, wann die Erweiterung erfolgte. Hat doch jede Zeit ihre neuen Erkenntnisse und damit natürlich auch die Homöopathie, um lebendig (bedeutet dynamisch) zu bleiben.
All diesen Fragen sind die beiden Autoren Nancy Herrick & Roger Morrison in dem vorliegenden Buch nachgegangen und haben mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen in der Praxis und auf der Basis des alten und neuen Wissens, die erweiterten Miasmen klar und übersichtlich erläutert.
Nun ergibt sich natürlich die Frage: Wie ist die Theorie der Miasmen bei der Behandlung anzuwenden? So begannen wir mit dem neuen Millennium durch die Erkenntnisse von Sankaran und den Kollegen, die mit ihm weiter geforscht haben, einem neuen Paradigma zu folgen, indem wir versuchten durch das „Erleben“ des Patienten zu verstehen, welches Miasma im momentanen „Zustande“ (§ 9 Organon) des Patienten hervortretend ist. Gleichzeitig versuchten wir Kenntnis über die Miasmen der Arzneien zu bekommen, was sich recht praktikabel in der Anwendung beim Patienten erwies.
Genau das Werk über die 10 Miasmen fehlte auf dem Bücher-Markt der Homöopathen: Die Miasmen werden in der Abfolge vom akuten bis zum zerstörerischsten, dem syphilitischen Miasma, dargestellt. Es enthält Informationen über die Krankheit und die Historie, aus der das Miasma ursprünglich entstand, bis hin zu den körperlichen Manifestationen, den typischen Pathologien. Weiter ist die Sprache des Patienten von besonderer Bedeutung, die sich durch Zitate aus Arzneimittelprüfungen belegen lassen konnten. Sehr bereichernd für den Leser sind die individuellen Fälle von Patienten mit Arzneien aus Mineral-, Pflanzen- und Tierreich und natürlich auch Nosoden.
Der Lehrteil des Buches beschreibt die Beziehung der Arznei-Familien und der Naturreiche zu den Miasmen und zeigt ein umfangreiches Register der Arzneien zum jeweiligen Miasma. Um eine Hilfestellung zu haben, gibt es noch einen Überblick über die Themen und bestätigenden Symptome mit einem Kurzrepertorium der Bestätigungssymptome der 10 Miasmen.
Besonders möchte ich den den Registerabschnitt am Ende des Buches erwähnen. Er wurde vom Übersetzer des Buches, Kai Kröger, erstellt. Dieses Register umfasst 175 Seiten und ist ausgesprochen hilfreich für die Möglichkeit eines schnelles Zugriffs zu Textstellen. Ist es doch häufig so, dass man beim Lesen eines Buches versucht, sich zu erinnern, wo las ich das? So kann man im Register nachschauen: z.B. „Erstarrung der Lebensmitte“ (Seite 863) oder wo finde ich die Kernaussagen zum Lepra-Miasma zusammengefasst (Seite 897 ff.), oder ich suche eine Referenz auf alle Textstellen, die mit Insekten zu haben haben (Seite 879 ff).
In der Zusammenfassung kann ich sagen, dass das Buch sich als eine wesentliche Bereicherung für das Verständnis der Miasmen anbietet. Im Alltag mit den Patienten ist es hilfreich, wenn die miasmatische Zuordnung mit größerer Leichtigkeit erkannt und benannt werden kann.
Das Buch ist zum Preis von € 126,- zu beziehen beim: Kai Kröger Verlag für homöopathische Literatur www.kai-kroeger-verlag.de info@kai-kroeger-verlag.de ISBN 978-3-9816290-0-2
Anne Schadde Nymphenburger Str. 122 80636 München www.anne.schadde.de