Ein Beitrag von Anne Schadde
Die momentane Zeitqualität wirft Fragen auf. Hahnemann gibt im Organon § 4 den Hinweis, ein Gesundheits-Erhalter zu sein, der „die Gesundheit störenden und Krankheit erzeugenden und unterhaltenden Dinge zu entfernen weiss.“
Damit kann die Frage gestellt werden, was ist hilfreich, diese Störungen von den Menschen zu entfernen?
Hahnemann gibt genaue Anweisungen wie in Zeiten von Epidemien und Seuchen verfahren werden sollte. Allerdings waren die hygienischen Bedingungen der Zeit vor 200 Jahren mit Kriegslazaretten, Sümpfen, fehlender Hygiene, Giftstoffen in Nahrung und Umwelt katastrophal. Die Maßnahmen wie Isolierung der Kranken, Reinigung der Räume, Ausräucherungen, die damals nötig waren - sind sie es heute immer noch? Wir können erkennen - und das ist wichtig für jede Einschätzung der Lage - wie sich die Welt in Bezug auf Hygiene, Ernährung, Kriege etc. verändert und damit die Gesundheit der Bevölkerung enorm verbessert hat. Daher stellt sich die Frage: Was ist erforderlich, um mit der herausfordernden Situation umzugehen?
Die moderne Medizin ist im Kampf gegen den Virus mit Desinfektionen und Isolierungen beschäftigt und erkennt wenig Zusammenhänge zum seelischen Erleben.
Hahnemann weist allerdings im Organon § 10 darauf hin, dass „…der materielle Organismus ohne Lebenskraft keiner Empfindung, keiner Tätigkeit, keiner Selbsterhaltung fähig ist, nur das immaterielle belebende Wesen, die Lebenskraft, bewirkt die Lebensverrichtungen…“
Weiter sagt er in § 7, dass „Krankheit… das nach aussen reflektierende Bild…des Leidens der Lebenskraft“ ist. Daher steht für uns der Mensch mit seiner Erkrankung im Zentrum und nicht der Virus.
Somit kann das, was jetzt global geschieht, den Menschen auf vielen Ebenen erreichen, nicht nur über die virale Infektion sondern auch über Panik, Angst, Sorge, Kummer. Alleine schon der Zusammenbruch der Weltwirtschaft und damit auch die Schwächung kleiner Unternehmen kann krank machend auf die Lebenskraft im Persönlichen wirken. Damit ist das seelische Erleben vieler Menschen vielleicht sogar noch intensiver betroffen als ausschließlich der Körper in seiner Reaktion auf den Virus. Und die Statistik, mit einer Vorhersage, wie viele Menschen sterben werden, ist eher belastend als hilfreich. Schürt sie doch die Urangst des Menschen, die Angst vor dem Tod.
Hahnemann sagt im Organon § 83 „Diese individualisierende Untersuchung eines Krankheitsfalles…“ So behandeln wir die Erkrankung und nicht einen Virus (oder Bakterium) sondern immer den erkrankten Menschen, ob nun die Erkrankung durch eine Verkühlung oder eine Schwäche oder durch Schock oder Angst oder virale oder bakterielle Infektion oder was auch immer ausgelöst wurde.
Jede homöopathische Behandlung stimuliert das Immunsystem und hilft dem Menschen, kraftvoller in der Welt zu stehen und damit auch mit einer Infektion umzugehen. Realistisch gesehen ist es fraglich, ob Covid-19 verschwindet, auch wenn der Kampf gegen diese Pandemie mit aller Macht in Form von Stilllegung des gesamten äußeren Lebens durchgezogen wird. So muss doch letztlich die Immunität der Menschen gestärkt werden für eine neue Zukunft „mit“ dem Virus.
Wir Homöopathen sind konfrontiert mit den Fragen der Patienten, denn sie erleben den momentanen Zeitpunkt individuell. Wenn Panik und Angst vorherrschen kann Arsenicum album oder Aconitum hilfreich sein, bei Erwartungsspannung Gelsemium usw.
Bei grippeartigen Symptomen allerdings suchen wir die entsprechende individuell ausgesuchte Arznei. Und natürlich Bettruhe und Rückzug, gute Ernährung mit Pflege von liebevollen Menschen. Wichtig ist, Ruhe und Stabilität zu bewahren und sich bewusst zu werden, wie wenig hilfreich sich Hektik oder panische Fahrten zu Notaufnahmen in Krankenhäuser gestalten können. Wie wir wissen, kann Heilung auf verschiedenen Ebenen erfolgen und Liebe und Zuwendung sind immer wesentlicher als Schreck und Angst.
Neben der individuellen Behandlung gibt es im Fall einer Erkrankung durch den Virus in der Tradition der Homöopathie auch die Suche nach einem Genius epidemicus in dieser Situation, wie wir sie in der weltweiten Ausbreitung des Virus zur Zeit erleben. Dabei erforschen wir Homöopathen die Krankheitssymptome, die sich durch die Ansteckung im menschlichen Organismus zeigen. Schließlich ist die Homöopathie eine phänomenologische Heilkunst. Es gibt schon einige Vorschläge, welche Mittel in dieser Epidemie hilfreich sind: Bryonia, Antimonium tartaricum, Camphora etc.
Woran ist nun der Mensch von heute erkrankt? Und ist ein Kampf „gegen“ dieses Unbekannte hilfreich? Ist nicht jeder Kampf ein aussichtsloser Versuch, etwas zu besiegen, was nicht nur im Aussen liegt sondern in uns? Gibt es da etwas, das in unser aller Leben integriert werden muss? Ist da Abschottung der hilfreiche Weg?
Wie können wir diesen Prozess des Individuums und gleichzeitig auch den des Kollektivs verstehen? Denn die jetzige Epidemie erfasst mehr als nur das Individuum. Das intensivste Gefühl ist zur Zeit „Angst“. Etwas, womit man sich identifiziert, ist bedroht. In diesem Fall „meine Gesundheit“.
Angst kann die Basis für eine Verhaltensänderung sein, die lebensnotwendig ist. Wie können wir mit dem, was da gerade geschieht, nicht nur individuell sondern auch kollektiv konstruktiv umgehen? Ist es eine Lernerfahrung, die es uns ermöglicht, die Zukunft neu zu gestalten?
Ist die moderne Welt in einer Krise? Die Appelle der Jugend haben schon aufgezeigt, dass eine Veränderung vonnöten ist. Aus den Medien hören wir, dass Kinder und Jugendliche von der Infektion weniger betroffen sind als alte und kranke Menschen. Ist dies der Beginn eines Paradigmen-Wechsels — wie ich schon in meinem Essay über den „Homöopathie in der Warteschleife des Paradigmen-Wechsels“ erwähnte? Die junge Generation ist aufgefordert, der Welt eine neue Prägung zu geben. Gibt nun die „alte“ Generation den Stab an die junge Generation ab?
Es erscheint, als würde der Welt für diesen Prozess ein Stillstand aufgezwungen werden. Könnte dies im Kollektiv der Beginn des Heilungsschrittes - nicht nur für den Menschen - sondern auch für die Natur sein? Ist das der Anfang für den modernen Menschen, zu einer tieferen Quelle des eigenen individuellen Lebens zu gelangen?
Rilke schreibt in seinem Gedicht Über die Geduld „…Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.“
Die Beantwortung der Fragen über den Ausgang mit „Corona“ müssen wir der Zukunft überlassen. Sören Kierkegaard sagt: „Verstehen kann man das Leben nur rückwärts, leben muss man es vorwärts.“
Anne Schadde anne@schadde.com www.anneschadde.de